Als Bischof der serbisch-orthodoxen Diözese von Österreich-Schweiz, Italien und Malta, erheben Wir, zusammen ich gemeinsam mit den Gemeindepriestern, Geistlichen und mit dem Klerus und den mehr als 500.000 Gläubigen in diesen vier Ländern, unsere gemeinsame die Stimme als Beistand für die schutzlosen Heiligen Kult Stätten der Hagia Sophia und des Klosters Chora in Istanbul/Konstantinopel. Hiermit bekunden Wir in brüderlicher Liebe unsere Solidarität mit Seiner All-Heiligkeit, dem Patriarchen von Konstantinopel und dem Neuen Rom, Herrn Bartholomaios I., mit seinem Heiligen Synod, seiner Bischofsvollversammlung, der Priesterschaft und dem gläubigen Volk, die allesamt im Zuge Jahrzehnte langer kultureller Unterjochung, seit dem Abkommen von Lausanne im Jahre 1923, als lebendige Kirche unerhörten Nötigungen, Druck und Verfolgungen ausgesetzt waren. Von zwei Millionen Orthodoxen Bürgern im Gebiet von Konstantinopel ist heute nur noch eine kleine Gruppe griechischer Einwohner übriggeblieben.
Nach der Anordnung des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, die Hagia Sophia am 24. Juli 2020 in eine Moschee umzuwandeln, hat auch noch das orthodoxe Kloster Chora von Istanbul (Stadtteil Fatih) das gleiche Schicksal ereilt! Dieses Kloster verfügt über wunderschöne Mosaiken von höchster künstlerischer Bewertung und wurde schon einmal im 16. Jahrhundert vom Großwesir Atık Ali Paşcha in eine Moschee umgewandelt, dann aber ab 1958 zum Museum umfunktioniert. Ähnliche Vorgänge gab es in vielen Gegenden Kleinasiens, etwa im Pontus, wo kürzlich die berühmte Hagia Sophia von Trabzon/Trapezunt, nachdem sie viele Jahre als Museum allgemein zugänglich war, wieder zur Moschee gemacht wurde. Die vielen orthodoxen Kirchen im Pontus oder an der ägäischen Küste sind zumeist dem Verfall anheimgegeben. Über solche unklugen Aktionen in der Türkei hinaus, muss die Weltöffentlichkeit des Weiteren feststellen, dass auch früher schon viele Kirchen und Klöster der Region Pontus, östlich von Konstantinopel, in Moscheen umgewandelt worden sind! Aus der ganzen Region sind alle griechischen Vorfahren vertrieben worden! Im Gebiet von Pontos sind keine einst die orthodoxen Kirchen schmückende Fresken mehr erhalten! Die wunderschönen orthodoxen Wandmalereien wurden entweder mit Mörtel verputzt oder mit türkischen Dekorationen überstrichen!
Wir appellieren an alle relevanten diplomatischen, juristischen, kulturellen und humanitären Einrichtungen in Österreich, in Italien, der Schweiz und auf Malta, gegen den Fortgang des geistigen Genozids auf dem Gebiet des östlichen Römischen Reichs, in der heutigen Türkei, entschlossen Stellung zu nehmen. Von den berühmten Verwaltungszentren Europas in Genf und Wien bis nach Rom als Geburtsstätte des Rechts und zum urchristlichen Malta sind diese noch aus Apostelzeiten stammenden zivilisatorischen Zentren dazu berufen, dem geistigen Genozid Einhalt zu gebieten. Der geistige Genozid hat in unserer jüngsten Geschichte hat schon vor längerer Zeit eingesetzt, speziell seit dem Bürgerkrieg in den 1990er Jahren auf dem Balkan. Er wurde unlängst nach Beendigung der militärischen Konflikte auf dem Amselfeld im Kosovo fortgesetzt und kulminiert heutzutage in der Zerstörung und schon fast völligen Vernichtung aller Kulturgüter in einer der wichtigsten urchristlichen Wirkungsstätten, in Syrien.
Es ist christliche Ehrenschuld und staatsbürgerliches Pflichtgebot, dass wir als europäische Völker das christliche Erbe in Schutz nehmen, zumal auf diesem Erbe unser heutiges Europa fußt. In der Einlösung dieser Schuldigkeit schützen wir ebenso die Würde aller Menschen, ganz unabhängig von ihrer religiösen Zugehörigkeit, denn der Mensch ist als Ebenbild Gottes das kostbarste Wesen. Zumindest aus biblischer Sicht ist in diesem Sinn unsere Welt erschaffen worden. In diesem Augenblick muss die Tatsache in Erinnerung gerufen werden, dass die Christen des Ostens, von ihrem Glauben her geleitet, durch ihre Weltanschauung und ihr Menschenverständnis, große kulturelle Werke von unschätzbarem Wert hervorgebracht haben, speziell auch noch einmal in der Kunst und Architektur, deren Höhepunkt unmittelbar die Kathedralkirche Hagia Sophia von Konstantinopel ist. Der orthodoxe architektonische Stil, dem auch die Hagia Sophia angehört, wird durch den Kuppelbau betont, wobei die Kuppeln auf die Beschaffenheit unseres Erdplaneten hinweisen und somit den Planeten in seiner geistlichen und materiellen Perfektionierung in die Höhen aufsteigen lassen..
Die Hagia Sophia, die in den 1930er Jahren in ein Museum umgewandelt wurde, symbolisiert für alle Christen und alle Kirchen einen Prototyp und ein Vorbild. Es handelt sich nicht schlichtweg um ein eindrucksvolles dezentes Bauwerk. In der Hagia Sophia spiegelt sich der tiefste Sinn des christlichen Glaubens und seiner Werte wider. Als bei Baubeginn im 6. Jahrhundert etwa 10.000 Bauleute nach nur fünf Jahren diesen Kirchenbau fertigstellten, wurde er tatsächlich zu einem Kosmos (griech. Schmuckstück), zu einem Zierwerk unserer Welt. Das gleiche gilt auch für das Kloster Chora, zugegeben in kleinerer Ausführung.
Über die geistliche Schönheit der Hagia Sophia haben auf immer und ewig russische Chronisten im Auftrag des Großfürsten der Rus Vladimir Auskunft geben können, nachdem sie auf der Suche nach dem wahren Glauben, an einer Liturgie in der Hagia Sophia teilgenommen hatten: Wir konnten nicht sagen, ob wir uns im Himmel oder auf der Erde befinden! Denn auf Erden existiert keine solche Pracht und wir waren nicht einmal in der Lage, die Schönheit dieser Kirche beschreiben zu können. Das einzige, was wir sicher wussten war, dass dort Gott unter Seinem Volke wohnt.
Die Ereignisse um die Hagia Sophia und das Kloster von Chora, die sich in diesen Tage vor unseren Augen abspielen, können durchaus weltweit auch das Schicksal anderer Kirchen und Heiligtümer ereilen. Die Umwandlungen sowohl der Hagia Sophia als auch des Chora-Klosters in Moscheen, ausgerechnet im 21. Jahrhundert, bedeutet eine völlig falsche Botschaft, speziell an die Adresse weltweiter radikaler Bewegungen, die ihrerseits das friedliche Zusammenleben der Menschen unterschiedlicher Religion auf unserem Planeten bedrohen und belasten. Die Umwandlungen der Kirchen in Moscheen verkehren ihrerseits symbolisch auch die Anstrengungen von Kemal Atatürk, aus der Türkei einen modernen Staat aufblühen zu lassen.
Aber Gott sei Dank gibt es islamische Theologen, die öffentlich die Umwandlungen byzantinischer Kirchen in Moscheen brandmarken und darüber hinaus hervorheben, dass sich Umwandlungen orthodoxer Heiligtümer in Moscheen den islamischen Werten der Toleranz und des Friedens widersetzen. Sie berufen sich dabei auf das Dekret des islamischen Kalifen Omar Al-Faruk (592-644), demzufolge zu seiner Zeit in Jerusalem, die Muslime nicht in der christlichen Grabeskirche beten durften, weil sie die Grabeskirche nicht als ihr Eigentum betrachten sollten.
Die serbisch-orthodoxe Diözese von Österreich-Schweiz, Italien und Malta appelliert aus diesen Gründen, in dieser schweren Stunde, an alle Christen, Verbundenheit zu demonstrieren, in der Hoffnung, dass unser aktuelles Europa das schöne orthodoxe Erbe von Istanbul (Konstantinopel) erfassen möge: Als Einladung an die ganze Welt, die universale Gemeinschaft, zum Schutz des Vernunftrechts, im Namen der Menschlichkeit, der Liebe zu Gott und zur Gerechtigkeit.